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Reformgruppe für mehr Beschäftigung: Leistung muss sich lohnen

Der Handelsverband erneuert seine Forderung nach einer umfassenden Arbeitsmarktreform, einer degressiven Gestaltung des Arbeitslosengeldes und einer Attraktivierung der Vollzeitarbeit in Österreich. Es gilt, eine „Generation Geringfügig“ zu vermeiden.

Beitrag: Redaktion.

Wer in Österreich arbeitslos wird, bekommt 55 Prozent des letzten Monatsgehalts als Arbeitslosengeld ausbezahlt. Dieser Wert ist im EU-Vergleich eher niedrig. Dafür sinkt er mit der Zeit kaum, weil nach dem Arbeitslosengeld die Notstandshilfe bezogen werden kann, die nur geringfügig unter dem Niveau des Arbeitslosengeldes liegt. In vielen anderen Ländern sinkt die Unterstützung mit der Zeit. Es erfolgt dabei i.d.R. auch ein Übergang von einem Versicherungssystem in ein Mindestsicherungssystem. Das ist ein Anreiz, sich so schnell wie möglich einen neuen Job zu suchen.

Anders ist das in Österreich: Die Notstandshilfe zusammen mit dem Arbeitslosengeld garantiert ein zeitlich unbegrenztes Arbeitslosengeld auf fast unverändertem Niveau. Anders ausgedrückt: Österreich zahlt wenig Arbeitslosengeld, das dafür de facto ewig. Ebenfalls zeitlich unbegrenzt können heimische Arbeitslose bis zur Geringfügigkeitsgrenze — derzeit 500,91 Euro pro Monat — dazuverdienen. Gedacht war das als Sprungbrett zurück in den Arbeitsmarkt. Geworden ist daraus in vielen Fällen ein Hindernis, das die Arbeitslosigkeit sogar verlängert. Gerade bei niedrigen Einkommen gibt es kaum noch finanzielle Anreize, aus Arbeitslosigkeit und geringfügiger Beschäftigung in ein sozialversicherungspflichtiges Dienstverhältnis zu wechseln. Auch die Schattenwirtschaft wird damit gefördert.

Tunnelblick auf Exportwirtschaft beenden

Anlässlich des ersten Zusammentreffens der von der Bundesregierung initiierten „Reformgruppe für mehr Beschäftigung“ am 6. Februar hat der Handelsverband seine Forderung nach einer umfassenden Arbeitsmarktreform und einer degressiven Gestaltung des Arbeitslosengeldes erneuert. Der österreichische Einzel- und Großhandel ist mit 598.600 unselbstständig Beschäftigten zweitgrößter Arbeitgeber des Landes. Er wird jedoch von den politischen Entscheidungsträgern seit Jahren gegenüber den anderen Wirtschaftssektoren benachteiligt.

Die Händler sind der Beschäftigungs- und Wirtschaftsmotor der Republik Österreich. Daher erwartet sich die Branche von der Bundesregierung mehr Einbezug bei allen handelsrelevanten Verhandlungen – insbesondere, wenn es um den Arbeitsmarkt geht. Es ist höchste Zeit, den Tunnelblick auf Industrie und Exportwirtschaft zulasten des Handels und Dienstleistungsgewerbes zu beenden.

35.000 offene Stellen im Handel

Die Corona-Pandemie und die jüngsten Pensionierungswellen haben zu einem gravierenden Personalmangel geführt. 45 Prozent der heimischen Händler klagen über viel zu wenige verfügbare Arbeitskräfte und einen starken Rückgang an Bewerbungen. Bundesweit gibt es derzeit fast 35.000 offene Stellen, die nicht zeitnah besetzt werden können. Allein im Einzelhandel sind es mehr als 14.000 Stellen. Bei fast einem Fünftel aller Handelsunternehmen ist zurzeit nur ein eingeschränkter Betrieb möglich.

Arbeitslosengeld degressiv gestalten

Daher setzt sich der Handelsverband für eine Wiederaufnahme von Verhandlungen über eine Arbeitsmarktreform ein. Insbesondere beim Arbeitslosengeld besteht dringender Handlungsbedarf. Oftmals kündigen Beschäftigte nach kurzer Zeit der Anstellung (z.B. 28 Wochen) wieder, melden sich erneut arbeitslos und verdienen geringfügig dazu, um damit ein ähnlich hohes Nettoeinkommen wie eine Vollzeitkraft zu erzielen. Insgesamt gehen derzeit etwa 10 Prozent der Arbeitslosen einer Zusatzbeschäftigung nach.

Eine gelungene Arbeitsmarktreform müsste die Zuverdienstmöglichkeiten beim Bezug von Arbeitslosengeld finanziell wie zeitlich begrenzen. Sinnvoll wären auch wirksamere Kontrollen und Sanktionen bei einem eventuellen Leistungsmissbrauch in Zusammenhang mit vielfachen Kurzanstellungen (die nur dem Erhalt des Arbeitslosengeldes dienen). Und natürlich müsste man auch beim Arbeitslosengeld selbst ansetzen. Dieses sollte zu Beginn höher sein und bei langer Bezugsdauer unter das heutige Niveau sinken (= degressive Gestaltung der finanziellen Unterstützung).

Langzeitarbeitslose sollten die Chance bekommen, wieder ein selbst bestimmtes, aktives Leben zu führen. Dem steht unser Sozial- und Steuersystem derzeit leider im Weg. Außerdem verfügt fast jeder zweite Langzeitarbeitslose nur über einen Pflichtschulabschluss. Zielgerichtete Qualifizierungsmaßnahmen können Betroffene in den Arbeitsmarkt zurückbringen. Bessere Kinderbetreuungsangebote würden es auch Frauen erleichtern, ihre Fähigkeiten im Berufsleben einzubringen. Der Handelsverband fordert daher einen Rechtsanspruch auf eine flächendeckende und leistbare Betreuung für alle Kinder ab dem ersten Lebensjahr.

Vollzeitarbeit attraktivieren

Und: Der arbeitenden Bevölkerung muss netto mehr Geld vom Brutto bleiben. Kaum wo in Europa zahlen Unternehmen so viel für ihre Beschäftigten, ohne dass es den Angestellten selbst bleibt. Und abgesehen von Belgien und Spanien ist es in keinem anderen europäischen Land finanziell unattraktiver, seine Arbeitszeit auszuweiten als in Österreich, wie ein Vergleich der Agenda Austria zeigt. Ein Durchschnittsverdiener, der in Teilzeit 30 Wochenstunden arbeitet, wird für jede zusätzliche Stunde mit einer Abgabenlast von 55,7 Prozent bestraft. Hier herrscht dringender Handlungsbedarf. Die Vollzeitarbeit muss attraktivier und gezielt belohnt werden, denn diese Personen tragen am meisten zum Sozialsystem bei.

Arbeit muss sich endlich wieder lohnen – das ist ein Gebot der Fairness. Darüber hinaus fordert der Handelsverband Schritte zur Angleichung des faktischen an das gesetzliche Pensionsantrittsalter sowie den gänzlichen Entfall der Beitragspflicht zur Pensionsversicherung ab dem Regel-Pensionsalter, um auch hier stärkere Erwerbsanreize zu bieten. (RED)

Quelle: LOGISTIK express Journal 1/2023

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